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Wie macht man das Unmögliche möglich?

Im Jahr 1401 ist Pippo Brunelleschi erwachsen geworden. Er hat eine Lehre als Goldschmied gemacht - das macht ihn vielseitig: er kennt sich mit ästhetischen Fragen genauso aus wie mit Metallverarbeitung oder Mechanik. Er strotzt vor Selbstbewusstsein. Und er bekommt seine Chance: wieder gibt es einen Wettbewerb. Das nächste Portal des Baptisteriums soll in Bronze gegossen werden. Filippo reicht einen Entwurf ein, den die Jury voller Staunen bewundert - und dann ablehnt. Den Zuschlag bekommt ein fast gleichaltriger Kollege, auch er Goldschmied: Lorenzo Ghiberti.

Im Museo del Bargello sind heute noch die Entwürfe der beiden zu sehen. Sie waren allen anderen Arbeiten so überlegen, dass die Jury nur zwischen ihnen auswählte. Beide erzählen die Geschichte, die die Opera vorgegeben hatte: Abraham reitet mit Isaak zum Opferplatz - bereit, seinen eigenen Sohn zu opfern, wenn es Gottes Wille ist. Im letzten Moment aber hält Gott ihn davon ab und schickt stattdessen ein Opferlamm.

Lorenzo Ghibertis Entwurf wirkt ausgewogener, die Figuren sind in einer geschlossenen Gruppe harmonisch in den Raum eingepasst. Die Szene ist diagonal geteilt - links unten sind Vater und Sohn auf dem Weg zum Opferplatz. Rechts bereitet sich Abraham darauf vor, Isaak zu opfern. Ganz oben schließlich bringt der Engel ihm das rettende Lamm.

Brunelleschis Figuren scheinen dagegen den Rahmen sprengen zu wollen. Er betont das Drama der Situation: Abraham hat sein Messer schon an Isaaks Kehle gesetzt - im allerletzten Moment fällt ihm der Engel in den Arm. Das ist die modernere Umsetzung, spannungsreicher als Ghibertis. Beide Künstler spielen auf die Kunst der Antike an - man beginnt sie gerade wiederzuentdecken. Brunelleschi nimmt sogar ein konkretes Motiv auf: die Figur unten links erinnert an den berühmten Dornauszieher.

Obwohl Filippos Entwurf als zweitbester gilt, ist er über die Niederlage tief gekränkt. Das berichtet der Architekt und Mathematiker Antonio Manetti, später Filippos Freund und Nachfolger. Er hat uns den ältesten Bericht über sein Leben hinterlassen. Diese Biographie hat hundert Jahre später der berühmte Giorgio Vasari noch einmal erweitert. Er erzählt, dass es den frustrierten Filippo nach dem verlorenen Wettbewerb nach Rom zieht - zusammen mit einem jungen Bildhauer-Lehrling namens Donatello. Die beiden passen gut zusammen: beide sind hitzige Dickschädel - und beide werden, jeweils auf ihrem Gebiet, die Renaissance einläuten.

Gemeinsam streifen die Freunde durch die römischen Ruinen. Von der Größe der ewigen Stadt ist nicht mehr viel zu sehen. Einst hatte sie anderthalb Millionen Einwohner, jetzt sind es gerade noch 20.000. Sie hausen in einer kleinen Siedlung am Tiber, heimgesucht von Pest und Malaria. Die antiken Ruinen rings umher verachten sie als Spuren heidnischer Götzendienste. Viele zerstören sie aus Aberglauben - oder nutzen sie schlicht als Steinbruch.

Filippo und Donatello sehen das anders. Für sie sind die alten Mauern nicht Teufelswerk, sondern Zeugnisse großer Baukunst. Um nicht aufzufallen, tarnen sie sich als Schatzsucher und nehmen die majestätischen Relikte unter die Lupe. Als einer der ersten Architekten seit der Völkerwanderung orientiert sich Filippo Brunelleschi damit unmittelbar an der antiken Baukunst.

Besonders interessant ist für ihn das Pantheon. Es ist damals schon fast 1300 Jahre alt und hat noch immer die größte Kuppel, die es auf der Welt gibt. Findet Filippo hier einen Hinweis, wie man so eine Kuppel auch in Florenz bauen kann? Was er sieht, hilft ihm leider kaum weiter. Denn die Römer haben die Kuppel aus Beton gegossen - aber wie man den herstellt, ist längst vergessen. In der Heiligen Stadt munkelt man, das Pantheon sei vom Teufel persönlich gebaut worden.

Mit neuen Ideen im Kopf kehrt Filippo einige Jahre später nach Florenz zurück. Zunächst läutet er eine Revolution in der Malerei ein: er entwickelt die Zentralperspektive. Damit kann man auf Bildern und Reliefs endlich räumliche Tiefe realistisch darstellen. Leider sind Filippos Zeichnungen heute verloren - obwohl sie damals eine Sensation waren.

Der Bau der Kathedrale ist inzwischen weiter fortgeschritten. Die alte Kirche der Santa Reparata ist abgerissen, die Gottesdienste finden im neuen Langhaus statt. Schon die halbfertige Kirche bietet einen überwältigenden Raumeindruck. Mit 153 Metern Länge wird sie die größte ihrer Epoche - noch heute, 600 Jahre später, ist der Dom von Florenz die viertgrößte Kirche der Welt.

Seit 1412 ist er offiziell nicht mehr Reparata, sondern der Muttergottes gewidmet. "Santa Maria del Fiore", die "Heilige Maria der Blume". Mit der Blume ist einerseits ihr Sohn Jesus gemeint, der oft als Blüte auf dem Stammbaum der jüdischen Könige dargestellt wird. Zum anderen ist die Widmung eine Anspielung auf die Stadt selbst, gegründet von den Römern als "Florentia", das bedeutet "die Blühende". Aber noch ist die Kathedrale ein Torso. Denn noch immer hat niemand eine Ahnung, wie man die gewaltige Kuppel über der Vierung bauen kann.

Im Jahr 1418 greifen die Wollbarone schließlich zum bewährten Mittel: Sie schreiben einen Wettbewerb aus. Die besten Baumeister beteiligen sich daran, auch Filippos alter Widersacher Lorenzo Ghiberti. Er ist inzwischen zu einem der berühmtesten Künstler Italiens geworden. Und auch Filippo selbst ist mit von der Partie. Er hat zwar keinerlei Erfahrung als Architekt, aber er hat große Ideen. Und dem Sieger dieses Wettbewerbs winkt höchster Ruhm.

Wir können uns heute kaum klarmachen, was für eine unglaubliche Herausforderung sich die Florentiner gestellt hatten. Seit der Antike hatte niemand mehr eine Kuppel von annähernd solchen Ausmaßen gebaut. Sie soll sich über den Gewölben der Kirchenschiffe erheben. Und damit sie noch majestätischer wirkt, haben die Florentiner auch noch einen zehn Meter hohen Tambour auf die Vierung gesetzt. In einer Höhe von 52 Metern sollen nun acht Gewölbe einander durchdringen - eigentlich eine typisch gotische Bauart, ein sogenanntes "Klostergewölbe". Das kennt man.

Aber die höchsten jemals gebauten gotischen Gewölbe, in der Kathedrale von Beauvais, sind in ihrem Scheitelpunkt nur 48 Meter hoch. Die Florentiner aber wollen ihre Kuppel vier Meter höher erst anfangen lassen! Und die Kathedrale von Beauvais wurde nie vollendet. Die Gewölbe sind nach gerade mal zehn Jahren zum großen Teil eingestürzt. Dabei hatten sie nur eine Spannweite von 15 Metern. Die Kuppel in Florenz aber soll einen Durchmesser von fast 45 Metern haben - drei Meter mehr als das Pantheon! Dazu kommt ein technisches Problem: Gewölbe werden normalerweise auf Schablonen aus Holz gemauert, sogenannten "Lehrgerüsten". Sie tragen die Steine, während der Mörtel aushärtet. Das Lehrgerüst für die Kuppel von Florenz müsste aber unvorstellbar groß sein, volle 90 Meter hoch, und ein gewaltiges Gewicht tragen: die Kuppel wiegt heute etwa 37.000 Tonnen. Für so ein Riesengerüst wären 700 mächtige Baumstämme nötig - obwohl der Dombauhütte ein ganzer Wald gehört, ist das sogar für die reichen Florentiner unbezahlbar.

Aber es gibt keine andere Art zu bauen. Die Vorfahren hatten gehofft, dass Gott eines Tages einem Menschen den richtigen Plan eingeben würde. Ist Filippo Brunelleschi dieser Mann?

Für die Wollmagnaten von der Domopera sieht es erst einmal nicht danach aus. Mit 41 Jahren hat Filippo noch nie als Architekt gearbeitet. Noch schlimmer: anstatt einen vernünftigen Vorschlag für die Konstruktion des Lehrgerüstes zu machen, kommt er mit einem lächerlichen Plan: er behauptet, er könne die Kuppel ohne Lehrgerüst bauen! Und damit nicht genug: er verlangt auch noch, dass man ihm diese wilde Idee einfach abkauft. Denn er hat Angst, dass ihm jemand seine Pläne stehlen könnte - und ist deshalb nicht bereit, genau zu erklären, wie er sich die Sache vorstellt. Man weiß nur, dass die Kuppel aus zwei Schalen bestehen soll. Die innere trägt das eigentliche Gewicht, die äußere schützt und verstärkt sie. Ein System von Rippen verbindet die beiden.

Die Juroren stehen vor einem Problem. Sollen sie Filippo glauben, dass er etwas vollkommen Unmögliches schaffen kann? Oder sollen sie eines der konventionellen Modelle vorziehen - obwohl sie wissen, dass es nicht funktionieren kann? Sie tun erst einmal das Naheliegendste, nämlich: nichts.

In der Zwischenzeit bekommt Filippo seinen ersten Auftrag als Architekt: das "Ospedale degli Innocenti", das neue Waisenhaus von Florenz. Und sofort beweist er seine Meisterschaft. Klare, geometrische Formen, klassisch ausgewogene Proportionen, Fenster und schlanke Säulen, die die Fassade regelmäßig gliedern - Brunelleschis Bau gilt heute als erstes echtes Renaissance-Bauwerk.

Die Juroren der Domopera lassen sich über ein Jahr Zeit, dann fällen sie ein salomonisches Urteil. Sie wählen Brunelleschis Modell und machen Filippo zum neuen Dombaumeister. Es gibt einfach keine Alternative. Aber zugleich ernennen sie einen zweiten, gleichberechtigten Baumeister: Lorenzo Ghiberti. Ausgerechnet Ghiberti, sein alter Rivale! Filippo ist außer sich. Die folgenden Jahrzehnte verwendet er viel Energie darauf, seinen Konkurrenten loszuwerden. Und schließlich wird ihm das auch fast gelingen.

Bevor der Bau beginnen kann, gibt es aber noch ein ganz praktisches Problem zu lösen: wie soll man fast tausend Kilo schwere Steinblöcke in so ungeheure Höhen hinauf transportieren? Bisher hat man Flaschenzüge verwendet, angetrieben von Arbeitern in Tretmühlen. Das ist aber bei dieser Höhe nicht mehr machbar. Und wenn die Steine dann oben sind - wie soll man sie zentimetergenau in Position bringen? Eigentlich waren diese Fragen Teil des Wettbewerbs. Aber keiner der Teilnehmer hat Antworten darauf - außer Filippo.

Sein ganzes Leben schon hat ihn Mechanik fasziniert. Antonio Manetti berichtet, dass er Uhren konstruiert und angeblich sogar den ersten Wecker der Menschheit gebaut hat. Jetzt legt er Entwürfe zu Maschinen vor, die seinen Mitmenschen die Sprache verschlagen. Buonaccorso Ghiberti, Lorenzos Enkel hat sie in Zeichnungen festgehalten. Jahrzehntelang werden sie in ganz Europa bewundert.

Filippo aber hat wieder Angst, dass jemand seine Ideen stehlen könnte. Deshalb lässt er jedes Teil von einem anderen Handwerker anfertigen, und alle außerhalb von Florenz. Zunächst entsteht so im Sommer 1420 ein Lastenaufzug, wie ihn noch niemand gesehen hat. Alleine das Kranseil wiegt eine halbe Tonne. Es ist 180 Meter lang - das größte Seil, das bis dahin hergestellt wurde. Nur die Schiffbauer in Pisa können so etwas anfertigen.

Der Kran selbst wird nicht von Menschen angetrieben, sondern von Ochsen. Sie sind geduldig und stark - aber man kann sie nicht dazu bewegen, rückwärts zu gehen, um das Seil wieder abzusenken. Dafür hat Filippo eine brillante Lösung: die Antriebswelle des Aufzugs ist verstellbar. So bekommt er einen Vorwärts- und einen Rückwärtsgang - aber die Ochsen laufen immer in die gleiche Richtung.

In neunzig Metern Höhe übernimmt die zweite Wundermaschine die Last: "Il Castello". Er sieht einem heutigen Kran erstaunlich ähnlich. Auf einem hölzernen Mast ein drehbarer Ausleger - hier stehen die Kranführer, in schwindelerregender Höhe, vom Wind umtost! Mit einer Spindel können sie ihre Plattform nach innen und außen fahren, gleichzeitig bewegt sich auf der anderen Seite ein Gegengewicht.

Auf all diese Konstruktionen wirken ungeheure Kräfte. Physikalische Berechnungen aber sind völlig unbekannt - Filippo kann sich nur auf sein Gefühl verlassen. Und das muss einzigartig gut sein, denn während der ganzen Bauzeit der Kuppel funktionieren beide Kräne ohne große Reparaturen.

Am 7. August 1420 beginnen die Bauarbeiten. Acht Teams von Maurern arbeiten gleichzeitig, an jeder Seite der Kuppel eines. Nach dem langen Wettbewerb soll jetzt alles schnell gehen. Den Arbeitern wird sogar verboten, zur Mittagspause herabzusteigen - Filippo lässt zwischen den Kuppelschalen eine Kantine einrichten.

Eine große Herausforderung ist die Statik der Riesenkuppel. Bei jedem Kuppelbau ist der Außendruck eines der größten Probleme. Filippo lässt in regelmäßigen Abständen Ketten aus Sandsteinbalken außen um die Mauern legen. Und gleich oberhalb der ersten Steinkette baut er zusätzlich eine Kette aus Kastanienbalken ein. Sie stabilisiert die Kuppel selbst bei Erdbeben, denn Holz ist elastischer und zugfester als Stein.

Der Bau dieser Balkenkette gibt Filippo die Gelegenheit zu einer Intrige gegen seinen Ko-Baumeister. Es wurmt ihn noch immer, dass Lorenzo Ghiberti den gleichen Lohn bekommt - obwohl doch alle Ideen von ihm stammen. Nun wird er plötzlich sterbenskrank. Lorenzo muss die Arbeiten alleine weiterführen. Aber die Kette ist eine komplizierte Konstruktion. Und wie üblich hat Filippo niemanden in seine Pläne eingeweiht - schon gar nicht Lorenzo. Der muss sich also mehr schlecht als recht behelfen.

Nach ein paar Wochen gesundet Filippo wie durch ein Wunder - und mustert mit demonstrativem Kopfschütteln den Pfusch, den Lorenzo sich zusammengereimt hat. Und tatsächlich zeigen die alten Lohnlisten, dass Ghiberti daraufhin erstmal das Gehalt gestrichen wird. Das nimmt die Opera zwar bald wieder zurück - aber der Bau der Kuppel ist fortan nur noch Filippos Sache.