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Ein Genie erobert Europa

Albrecht Dürer aus Nürnberg reist 1494 zum ersten Mal nach Venedig, 1505 noch einmal. Beim zweiten Mal bleibt er zwei Jahre und lernt auch Giovanni Bellini kennen. Er ist tief beeindruckt. Bellini sei sehr alt, schreibt er, aber immer noch "der beste im gemol", also der beste aller Maler. Aber auch von seinen eigenen Fähigkeiten ist Dürer überzeugt. Dass auch er die venezianische Malweise beherrscht, zeigt er mit dieser Madonna.

Babette Hartwieg, Chefrestauratorin der Gemäldegalerie:

"Glücklicherweise sind wir ja ganz gut informiert über Dürers Aufenthalt in Venedig, aber hätten wir die Information nicht, wir würden auch allein an der verwendeten Maltafel, anhand des Materials, erkennen können, dass dieses Bild in Italien oder Südeuropa entstanden ist - denn das Bild ist auf Pappelholz gemalt. Pappel ist ein sehr weiches Holz und leider sehr anfällig gegenüber Wurmbefall, was man hier von hinten sieht.
Und die Holzwürmer haben vorzugsweise auch nicht nur das Holz, sondern auch den Leim der, unmittelbar auf die Holztafel aufgetragen wurde, gemocht. Und insofern haben sich diese Würmer bis unter die Malschicht hindurchgefressen, und das sehen wir dann auch auf der Oberfläche, dass einige Partien der Malschicht hohl liegen und leicht einbrechen über den Wurmgängen."

Das Motiv ist einerseits typisch italienisch - zum Beispiel hat nie vorher ein deutscher Künstler Johannes den Täufer als Kind gemalt. Andererseits aber hat Dürer viele deutsche Elemente aufgenommen. Die Maiglöckchen etwa sind das deutsche Pendant zur weißen Lilie. Und in der Landschaft hinter der Madonna zeigt er links antike Ruinen und italienische Architektur - rechts aber ein deutsches Fachwerkhaus. Wie bei Lippi der Diestelfink deutet hier der Zeisig auf die Dornenkrone hin. Man sieht, warum Dürer bis heute gerade auch als wunderbarer Tiermaler berühmt ist: Der Vogel ist ganz lebendig, dreidimensional, mitten in der Bewegung. Man glaubt fast, die weichen Federn streicheln zu können.

Ganz unten ein so genanntes Cartellino - auch das eine italienische Sitte. Stolz ist darauf lateinisch signiert: "Albrecht Dürer der Deutsche hat das Bild 1506 gemalt", dazu sein berühmtes Monogramm. Allerdings: heute, ein halbes Jahrtausend später, sieht die Madonna nicht mehr ganz so aus, wie Dürer sie gemalt hat.

Babette Hartwieg:

"An diesem Bild sind einige Partien noch in einem wunderbaren Zustand - also da muss man sich nur einmal oben diesen Engel anschauen oder auch den Zeisig, der ist wirklich noch ganz toll erhalten - andere Partien sind enorm gedünnt oder auch sehr viel transparenter geworden. Also, was wir jetzt hier alles sehen, das ist die Unterzeichnung, die hier sehr fein, mit sehr feinen Schraffierungen auskommt, jetzt sehr deutlich zu sehen ist.
Und man sieht jetzt hier überall schon die Grundierung durchschimmern. Das ist natürlich sehr bedauerlich, und es führt auch dazu, dass jetzt diese weiß aufgesetzten Lichter etwas unvermittelt auf diesen sehr gelblichen Untergrund aufsetzen, das ist sicher viel fließender ineinander übergegangen - aber das ist etwas, was wir nicht mehr rückgängig machen können, was einfach zu den Alterungserscheinungen dieser Tafel dazugehört."

Zweimal hatte Dürer die Alpen überquert und seine Eindrücke mit Feder und Pinsel festgehalten. In der Berliner Gemäldegalerie ist die Teilung Europas durch das Gebirge in der großen zentralen Wandelhalle angedeutet. Sie bildet den Ruhepol in der Mitte der Galerie. Zugleich nehmen die Architekten Hilmer, Sattler und Albrecht mit ihr die beiden Stränge der europäischen Kunstgeschichte auf: Die Räume links der Halle zeigen die Entwicklung der südeuropäischen, die Räume rechts der Halle die der niederländischen, flämischen und deutschen Malerei.

Albrecht Dürer bringt die neue Kunstauffassung mit nach Hause. Auch er sieht sich nicht mehr als Handwerker, sondern als Künstler. Und auch seine Bilder sind aus genauer Beobachtung der Welt entstanden. Besonders den Holzschnitt und den Kupferstich bringt Dürer zu höchster Vollendung. So kann er seine Zeichnungen vervielfältigen, sie wandern von Hand zu Hand. Und er ist der erste, der auch die Grafiken systematisch mit seinem Monogramm kennzeichnet. Es wird zum Markenzeichen - und Dürer zum berühmtesten Künstler in ganz Europa. Erasmus von Rotterdam etwa schreibt in einem Brief:

"Dürers Namen kenne ich seit langer Zeit als erste Berühmtheit in der Kunst der Malerei."

Dürer beeinflusst Generationen von Künstlern - und Kaiser Maximilian I. nutzt sein Talent auch zur Propaganda: Dürer entwickelt für ihn Designs für Rüstungen und Staatskarossen. Er korrespondiert mit Künstlern und Gelehrten aus aller Welt. Seine Heimat aber bleibt die reiche Handelsstadt Nürnberg. Einer seiner Freunde dort ist der angesehene Kaufmann Hieronymus Holzschuher. Die Inschrift besagt, dass Dürer ihn 1526 im Alter von 57 Jahren gemalt hat.

Es ist eins von Dürers besten Porträts. Wie vorher beim Federkleid des Zeisigs spürt man auch hier beim Pelzkragen den samtigen Flaum. Im Gegensatz dazu das struppige Barthaar und das weiche Haupthaar - der große Giovanni Bellini, den Dürer so bewundert, hat ihn angeblich einst gefragt, mit welchen Pinseln er solche Härchen malen konnte. Dürer zeigte sie ihm - und Bellini war entgeistert: es waren die gleichen, die er auch selbst benutzte.

Die größte Meisterschaft aber zeigt sich darin, wie Dürer Holzschuhers Gesicht malt. Er hat sich viel mit Landschaften beschäftigt, und auch das Gesicht wirkt wie eine Landschaft: die Furchen, die kleinen Rillen der Falten, die Adern unter der Haut, die Augenlider - Spuren eines langen Lebens.

"Das Auge ist das Fenster der Seele."

Diesen Ausspruch von Leonardo nimmt Dürer ganz wörtlich: in Holzschuhers Augen spiegelt sich das Kreuz des Fensters, vor dem er sitzt. Aber er zeigt mehr als nur Äußerlichkeiten. Gerade Holzschuhers Blick ist es, der uns einen Eindruck von seinem Wesen gibt: ein bisschen skeptisch muss er gewesen sein, aber freundlich und zupackend. Das ist Dürers besondere Stärke: wenn er die Menschen persönlich kennt, dann malt er nicht nur ihr Gesicht, sondern zugleich ihren Charakter.

Das entspricht auch der Funktion des Bildes. Denn ein solches Porträt hing nicht einfach als Schmuck an der Wand. Es sollte den Dargestellten im Gedächtnis der späteren Generationen lebendig halten - gewissermaßen als Teil der Familienchronik. Deshalb hatte der Rahmen einen Deckel aus Holz. Er zeigt die Familienwappen der Holzschuhers und der Münzers, der Familie von Hieronymus' Frau. Darunter war das Bild gut geschützt - auch deshalb ist es wohl heute so perfekt erhalten.